DOKUMENTARFILM UND FERNSEHPUBLIZISTIK 1982 drehte Chris Marker seinen Essayfilm „Sans Soleil“. Dazu heißt es im Off-Text: „Hat man, offen gestan den, je etwas Dümmeres erdacht, als den Leuten zu sagen – wie man es in den Filmschulen lehrt – nicht in die Kamera zu blicken?“ Der Regisseur Johan van der Keuken sagt, dass die Kamera häufig lüge über das, was sich vor ihrem Objektiv befindet – aber sehr selten über den, der hinter ihr steht. Und Wim Wenders sagt: „Die Einstellung ist die Einstel lung“. Beides meint das Gleiche: Entscheidend ist die Erzählhaltung, die Sichtweise des Filmemachers. Die Beherrschung des Handwerks ist zwar Voraussetzung – aber sie alleine hilft noch nicht weiter. Wir kennen alle diese äuSSer- lich brillanten Filme, die nichts zu erzählen haben, außer der Litanei ihrer formalen Glätte. Ich möchte solche Filme nicht mehr sehen. Mich interessieren eigenartige Filme, die selbst das Risiko des Scheiterns ein gehen. Wie aber soll man Eigenart und Risikobereitschaft an einer Film schule lehren? Kann man jenseits des Handwerks eigene Erfahrungen weitergeben? Filmemachen lernt man beim Filme machen. Das hilft aber leider niemandem, der mit dem Exposé in der Hand über Bildsprache nachdenkt. Der Studiengang Dokumentarfilm bildet Regisseure und Autoren für alle Bereiche des Dokumentarfilms in Kino und Fernsehen aus. Dazu gehören beobachtender Dokumentarfilm, Portrait, Essayfilm, realistisches Fern sehspiel, dokumentarischer Journalis mus, aktuelle Berichterstattung, Wissenschaftsfilm, Experimental produktionen auf Film und Video und fiktionale Filmprojekte. Der Lehrplan gründet erstens auf der Erfahrung, dass eindeutige Trennlinien zwischen diesen Arbeitsbereichen nur sehr schwer zu ziehen sind, und eine Entscheidung für oder gegen ein Genre nur auf der Grundlage eines möglichst umfassenden Wissens getroffen werden kann. Und zweitens auf der banalen Tatsache, dass man Filmemachen nur in der Praxis des Filmemachens lernt. Spricht jemand über die Film- hochschule, dann redet er in den seltensten Fällen über Lehrinhalte, sondern meist über die Filme der Studenten. Da gibt es wenig Unter schiede zwischen Außen- und Innen ansicht. Und es nützt den Studenten am Ende des Studiums wenig, ge bündeltes Wissen zu präsentieren – es geht immer um die Filme, die Produzenten, Redakteure und Festivalleiter sehen wollen. Demzufolge stehen die vier Filme, die im Verlauf des Dokumentarfilm- Studiums gedreht werden, im Zentrum der Lehre. Entsprechend sind Vor lesungen, Seminare und praktische Übungen auf die jeweils nächsten Filme ausgerichtet. Die Rahmenbe dingungen zu diesen Filmen sind vor gegeben – die Themenwahl ist frei.