13 Philine von Sells Fotoprojekt Made in Germany zeigt Momente, Situationen und Impressionen aus der Welt der Arbeit in der deutschen Industrie. Für ihr Projekt fragte die Künstlerin bei zehn renommierten Unternehmen an und besuchte Produktions stätten im ganzen Land. Ihre Fotografien zeigen Herstellungsver fahren und Produktion aus der Perspektive unvoreingenommen Interesses und damit unter einem Blickwinkel, der das Typische und Besondere im scheinbar Normalen und Routinierten er kennt. So entstanden in den Jahren 2006 bis 2008 Werke, die die maschinelle und manuelle Arbeit, das Material und seine Ver wandlung vom Rohstoff bis zum Endprodukt in den Unternehmen zeigen – all dies als Resultat einer künstlerisch-fotografischen Wahrnehmung und Tätigkeit, die sich ihrem Untersuchungs gegenstand aufgeschlossen und behutsam annähert. Die Foto grafien in diesem Band wurden mit einer Pentax-Kamera im Mittelformat 4,5 x 6 Zentimeter hergestellt. Das Projekt ist noch nicht abgeschlossen und soll weitergeführt werden. Made in Germany besichtigt die moderne Realität der Pro duktion vor allem unter dokumentarischen Gesichtspunkten. Beim Betrachten der entstandenen Fotoserie gewinnt man den Eindruck, dass sich für die Fotografin in der Arbeitwelt immer wieder neue, völlig überraschende Gesichtspunkte ergeben ha ben, dass sich ihr eine Welt aufgetan hat, die sie aufgrund ihrer Komplexität, Präzision und Effizienz erstaunte. In ihren Arbeiten werden äußerst unterschiedliche Produktionswirklichkeiten dar gestellt, so wie sie die Fotografin erlebte – mit dem ihr eigenen frischen und unverbrauchten Blick und in Form eines Sehens, das dem Arbeits- und Herstellungsprozess großen Respekt zollt. Die Aufnahmen zeigen das jeweils Spezifische der Indus- trieunternehmen, denn bei der Fertigung so verschiedener Produkte wie beispielsweise Keramik, Schrauben oder Lebens mittel wirken das Material und auch seine Bearbeitung sehr deutlich auf die direkte Umgebung ein. So sind die Fertigungs stätten bei Dr. Oetker, Bausch Decor, Falke, Rectus, Würth, Eternit, bei der Banknotendruckerei Giesecke & Devrient und weiteren führenden deutschen Unternehmen sowohl geprägt von den zu verarbeitenden Grundsubstanzen als auch durch technische und handwerkliche Erfordernisse bei der Herstel lung, Sortierung und Lagerung dieser Qualitätsprodukte. Jedes Unternehmen besitzt somit etwas Außergewöhnliches und Unverwechselbares. Dies zeigt sich charakteristisch im Ferti- gungsprozess, an den Werkbänken und Arbeitsplätzen ebenso wie in Ordnungs- und Unordnungssystemen und selbstredend auch in der Architektur der Produktionsstätten. So unterschiedlich wie die Produkte und ihre Herstellung, so verschieden sind auch die Fotografien, die Philine von Sell für das Projekt Made in Germany herstellte, denn bei jedem der Unternehmen ließ sie sich aufs Neue auf eine unbekannte Situation ein und entwickelte für jede Produktionssituation eine adäquate Form der Besichtigung: Da ist beispielsweise das mit Zahlen betitelte Foto, das in einer Produktionshalle bei Villeroy & Boch entstand (Abb. S. 87). Hier werden keramische Produkte gezeigt, die in Paletten zur Weiterverarbeitung aufge stellt wurden. Auf diesem Foto ist die Zwischenlagerung vor allem als Ordnungsvorgang dargestellt: Frontal erfasst und in einem ausgewogenen Verhältnis zwischen Horizontalen und Vertikalen betont die Komposition das Serielle der Fertigung. Anders als bei der Farbstiftherstellung stehen die Gegenstände hier in Reih und Glied und sind durch exakte Abstände vonein ander getrennt. Zudem sind die Chargen wegen des Produk tionsablaufes mit Ordnungszahlen versehen, deren Systematik sich nur den »Eingeweihten« erschließt. Ein kurzer Rückblick: Die Welt der Industrie und der Pro duktion aufzunehmen und vorzustellen, war seit Mitte der 1920er-Jahre immer wieder das Anliegen moderner Fotografen. Mit der Industriefotografie, der Industriereportage und der so genannten Sach- und Materialfotografie fanden im Medium ab solut neue Einblicke in die moderne Welt statt, in ihre technische Realität und ihre produktive Gegenständlichkeit. Äußerst be rühmt wurde Albert Renger-Patzsch (1897–1966) mit seinen Fotografien und Fotobüchern, etwa dem Bildband Die Welt ist schön (1928), in dem er Strukturähnlichkeiten zwischen Natur und moderner Technik, Parallelen zwischen biologisch ge- wachsener und technisch konstruierter Wirklichkeit vorstellte. Renger-Patzsch betrachtete das Fotografieren keineswegs als Kunst, vielmehr sprach er in seinen theoretischen Schriften vom »photographischen Handwerk« und forderte die Einheit von Technik und Mitteln. Seine »sachlichen Photographien«, die als Resultat seiner Vorstellungen von den Aufgaben des Mediums entstanden, waren innerhalb der sich entwickelnden, soge nannten »künstlerischen Photographie« revolutionär.1 Ein Teil der Fotografien Philine von Sells scheint im Grenz bereich zwischen realem und surrealem Bild angesiedelt, vor allem solche Werke, die Vorstellungen jenseits des eigentlichen Produkts zu evozieren wissen. Zu dieser Gruppe von Motiven gehört ein aus der Aufsicht geschossenes Foto, das eine rote Tischfläche zeigt, auf der eine Metallschaufel liegt, in der noch Spuren grünen Pigments zu erkennen sind (Abb. S. 42). Mit diesem Werkzeug werden bei Faber-Castell Farbstoffe aus den GEDANKEN ZU DEN FOTOGRAFIEN PHILINE VON SELLS PETER FUNKEN